Gedanken zur Schulöffnung

Wir planen unsere Schüler*innen in dieser zerbrechlichen Situation, zu Vorbereitungen auf alt hergebrachte Prüfungen in die Schule zu holen. Hier sind nur einige meiner Gedanken an unser Ministerium:

Sehr geehrter Herr Minister Tullner!

Ich möchte ein paar Gedanken aus Schulleitungssicht zur Schulöffnung los werden:

Ich bin seit zwei Jahren stellvertretende Schulleiterin der Gemeinschaftsschule A.W.Francke in Magdeburg, leite unsere Schule seitdem, da unser Schulleiter schon noch länger krank ist. (Erhalte immer noch nicht die mir zustehende Gehaltsstufe – aber das nur am Rande – an solchen Tagen wie diesen, muss ich dann doch wieder darüber nachdenken.)

Ich bin ein optimistischer Mensch, liebe das unabhängige Denken und Handeln und bin seit 35 Jahren an meiner Schule leidenschaftlich gern Lehrerin und gehe auch heute (fast) jeden Tag wirklich gern zur Arbeit, also zur Schule. Da ich versuche sehr lösungsorientiert zu agieren, habe ich im ersten Moment, als der Erlass am Freitag kam, auch zuerst ans Anpacken gedacht. Meine ganze Francke-Gemeinschaft um Geduld gebeten und ihnen versichert, dass wir die bestmögliche Lösung finden für alle: Am Wochenende wird ein Plan erarbeitet und Sonntagabend mal wieder eine Videobotschaft an Schüler*innen, ihre Familien und meine Kolleg*innen gesendet.

An dieser Stelle möchte ich sagen, natürlich halte ich mich an Erlasse und Gesetze und werde alles tun, dass wir die Realschul-Prüfungen, die wir durchführen MÜSSEN, für unsere Schüler*innen so unaufgeregt wie möglich gestalten werden.

Und doch wird mir der Irrsinn im Laufe des Tages (während ich konkrete Planungsideen suche) immer bewusster. Da kommen Nachrichten von unseren Schüler*innen, die wirklich ängstlich sind, denn nicht alle sind starke junge Persönlichkeiten. Ich denke an unsere Schüler*innen mit Migrationshintergrund, die schon ganz andere Sachen durchgemacht haben und nun mit Maske 3 ½ Stunden schriftliche Prüfungen absolvieren müssen. Mal an den Tisch gehen, weil vielleicht ein Satz nicht verstanden wurde – geht nicht. Ich denke an unsere Schüler*innen mit Lerndefiziten, die es bis hier geschafft haben. Und ja, für alle sollen die gleichen Voraussetzungen gelten. Und doch fallen mir keine überzeugenden Argumente ein, warum trotz des Kontaktverbotes außerhalb der Schule, die Jugendlichen in unseren kleinen Räumen zusammenkommen sollten.

Eigentlich holen wir sie jetzt nur in die Schule, wegen des Prüfungsdruckes, des Druckes eine alt hergebrachte Prüfung abzulegen. Während wir im Schulalltag immer mehr Wert legen auf Teamarbeit, Zusammenarbeit, Kollaboration, viel Kommunikation und Kreativität, müssen die Schüler*innen in der Prüfung unbedingt allein (alles andere gilt als Betrug), ohne Kommunikation, ohne Hilfsmittel arbeiten. Jetzt möglichst noch mit Maske.

Die letzten Wochen waren von Unsicherheit und großen Herausforderungen geprägt und doch haben wir als Kollegium viel gelernt und unsere Prioritäten haben sich weiter auf die Beziehungsarbeit zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen verschoben. Viele haben sich auf den Weg gemacht, sich digital fortgebildet, weiterentwickelt, neue Ideen gefunden und somit versucht, das Lernen so zeitgemäß wie möglich zu gestalten. Wir haben im Nachdenken und Auseinandersetzen über Lernen in einer digitalen Kultur wertvolle Schritte gemacht!

An dieser Stelle kann ich Sie nur bitten, sich vehement gegen eine Verkürzung jeglicher Ferien zu wehren, die der Ministerpräsident erwogen hat. Für uns Lehrer*innen besteht eine Dienstpflicht, auch die Kinder und ihre Familien haben gerade KEINE Ferien. Die meisten müssen sich selbst organisieren, neben Schulaufgaben Geschwister betreuen, Eltern helfen usw. Die Familien stehen vor großen Herausforderungen. Vor allem Klassenlehrer*innen arbeiten gerade mental am Limit, haben ständig ein schlechtes Gewissen, Familien zu überlasten oder Schüler*innen nicht zu erreichen und sie damit noch mehr vom Schulalltag abzuhängen. Werden die Ferien verkürzt, erfährt unsere derzeitige gemeinsame Arbeit NULL Wertschätzung.

Und nun sollen wir also am Donnerstag mit der Prüfungsvorbereitung beginnen. Zuerst geht es um die Frage: Welche Kolleg*innen holen wir in die Schule?

Der Anteil der älteren Lehrer*innen ist groß. Bei anderen (auch jüngeren) Kolleg*innen spielen jetzt Vorerkrankungen eine Rolle, die im normalen Schulalltag unbedeutend waren. Etliche Kolleg*innen haben familiäre Belange, die es gerade nicht erlauben mit vielen in Kontakt zu treten. Das gilt auch für Schüler*innen und ihre Familien. Stehen genug Kolleg*innen zur Verfügung? Was, wenn nicht?

Unter all diesen Umständen fällt es mir wirklich schwer, eine konkrete Planung ab Donnerstag aufzustellen. Wir werden das irgendwie packen, wir werden Lösungen finden. Aber die Sinnhaftigkeit, die Schüler*innen JETZT in die Schule zurück zu holen, erschließt sich mir im Moment einfach nicht. Und wenn ich den Virologen des Helmholtz-Institutes zuhöre, noch weniger.

Ich bedaure sehr, dass die KMK nicht mutiger war und die Abschlüsse in diesem Jahr ohne Prüfungen anerkennt. Das Argument, den Schüler*innen würde das irgendwann später im Leben auf die Füße fallen, kann ich nicht nachvollziehen. Nie waren Abschlüsse weniger bedeutend als heute und sie werden noch unbedeutender werden.

Selbst ein Lehramtsstudium braucht man nicht mehr um als Lehrer*in zu arbeiten. Und das klappt bei unseren Seiteneinsteigern erstaunlich gut, wofür ich sehr dankbar bin.

Trotz Suchen nach Sinnhaftigkeit:

Die Prüfungen werden laut Erlass durchgeführt.  

Wir versuchen alle hygienischen Standards einzuhalten. (Bin gespannt, ob bis Donnerstag Desinfektionsmittel und Masken vorhanden sind.)

Unsere Schüler*innen versuchen wir bestmöglich auf die anstehenden Prüfungen vorzubereiten.

„Die schwierigen Bedingungen der Prüfungsvorbereitung durch die Schulschließung sollen berücksichtigt werden, indem die Lehrkräfte ausdrücklich zur Ausübung ihres pädagogischen Ermessens ermutigt werden. „

Diesen Satz aus dem letzten Erlass werden wir in jeglicher Form mit Entscheidungen pro Schüler*innen ausreizen, um ihnen trotz der Umstände, einen bestmöglichen Abschluss zu ermöglichen.

Ich weiß, dass es gerade in dieser Zeit nicht einfach ist, Beschlüsse zu fassen. Und doch: Im Sinne unserer Schülerschaft wünsche ich mir von meinem Ministerium mutige Entscheidungen für ihre Zukunft.

Mit freundlichen Grüßen

Elke Noah

Stellv.Schulleiterin

GMS A.W.Francke / Magdeburg